C. C. Humphreys: Der Fluch der Anne Boleyn
Für diesen historischen Krimi hat sich der britische Autor C.C. Humphreys eine in der Geschichte mythische Persönlichkeit ausgesucht: Anne Boleyn. Falls einem der Name nicht gleich parat ist: Sie war eine der Ehefrauen Heinrich VIII. Und auch sie wurde am Schafott geköpft. Die Legende besagt, dass Anne Boleyn nicht nur außerordentlich schön und selbstbewusst gewesen sein soll, sondern dass sie auch an einer Hand sechs Finger gehabt habe. In dieser Geschichte ist die Geköpfte schon lange tot, ihre Hand aber spukt als magisches Relikt immer noch in den Köpfen manch mittelalterlichen Spin-Doktoren herum.
„Diese… Reliquie. Sie könnte nützlich sein. Der kaiserliche Botschafter in England ist jedenfalls dieser Meinung. Dort kämpft man darum, das Land unter der guten und frommen Königin Mary wieder für die eine Kirche zurückzugewinnen. Ihre Schwester, die Tochter dieser Hexenkönigin, muß vielleicht ein wenig … überzeugt werden, die Arbeit in diesem Sinne fortzusetzen.“ Er legte seine knorrigen Finger auf Giannis Schulter. „Kannst du uns die Hand dieser Hexe bringen?“
Der Alptraum ging weiter. Gianni fiel jetzt ins Italienische, mit dem starken toskanischen Akzent seiner Kindheit.
„Heiliger Va-, äh, Euer Eminenz. Sie wurde vergraben, bevor ich auf die Welt kam. In Frankreich. Ich weiß nicht, wo. Das wissen nur drei Menschen.“
„Und die sind?“
In einem Alptraum gibt es kein Versteck.
„Meine Mutter und mein Vater. Und noch ein anderer Mann. Falls sie überhaupt noch am Leben sind.“
Von höchster politischer Stelle bekommt der Jesuit Thomas Lawley den Auftrag, Annes Grab aufzubrechen, um ihre sechsfingrige Hand zu holen. Mit Hilfe dieser Hand soll das Schicksal von Annes Tochter Prinzessin Elizabeth besiegelt werden. Was Thomas Lawley nicht weiß ist, dass Annes Henker, der Franzose Jean Rombaud, die Hand vor zwanzig Jahren an einer Wegkreuzung in Frankreich vergraben hat. Zusammen mit dem fanatischen Katholiken Gianni macht er sich nach der erfolglosen Grabschändung auf die Suche nach Annes Hand.
Lawleys Handeln bleibt nicht verborgen: Trotzdem Jean Rombaud Anne mit seinem Schwert ein Kopf kürzer gemacht hat, hat er ihr – „seiner“ Königin – Treue bis über den Tod hinaus geschworen. Er macht sich zusammen mit seiner Tochter Anne auf, das Knochen-Relikt vor dem Jesuiten und dem Katholiken in Sicherheit zu bringen.
Dieser Roman wurde mit mehr Fantasie geschrieben als mit historischen Fakten belegt, was – wenn man nicht gerade das Gegenteil erwartet – nichts macht. Der Roman ist spannend, abwechslungsreich und geizt nicht mit Spannungs- und Konfliktelementen: In England zeichnet sich eine Abspaltung der Kirche ab und die in der Verbannung lebende Elizabeth liegt im Clinch mit der amtierenden Königin und Halbschwester Mary. Zur politischen und religiösen Dimension des Romans packt Humphreys auch noch familiäre Konflikte hinein. Dem nicht genug, stattet er auch noch Jeans Tochter mit der Gabe der Vorhersehung aus und gibt der Geschichte damit einen mystischen Touch.
Der Roman ist in zwei große Teile geteilt, die in bezeichneter Weise die Titel „Die alte Welt“ und „Die neue Welt“ tragen. Und nicht nur im geografischen Sinne unterscheiden sich die beiden Teile von einander. „Der Fluch der Anne Boleyn“ ist der Fortsetzungsroman von „Die Hand der Anne Boleyn“ – er kann aber durchaus unabhängig davon gelesen werden. Zusammen bilden die beiden Bücher die „The French Executioner series“, da bei beiden Malen der französische Henker Jean Rombeaud die Hauptrolle spielt.