Die 35 jährige Bäckerin Katharina Schrader, gennant die Bakkerhexe, wurde 1647 in Hessen von den Geschwistern Hans und Grete Metzler erwürgt und anschließend in einem ihrer vier Öfen verbrannt. Das Verbrechen wurde aus kapitalistischen Motiven begangen. Schrader war in Besitz des Original-Rezepts des berühmten Nürnberger Lebkuchens, das Metzler – ebenfalls ein Zuckerbäcker – haben wollte. Nach einem abgewiesenen Heiratsantrag und dem gescheiterten Versuch, Schrader als Hexe zu denunzieren, sah er keinen anderen Weg, als Schrader mit Hilfe seiner Schwester zu ermorden.
Das Märchen über Hänsel und Gretel ist einer der wenigen Geschichten, die ihre Handlung auf eine wahre Begebenheit aufbauen. Erst 1962 gelangte Georg Ossegg – ein Studienrat aus Aschaffenburg – zu der Erkenntnis, dass das Märchen über die Geschwister, die eine Hexe ermordeten, tatsächlich passiert sein musste. Durch seine Recherchen und archäologischen Grabungen konnte er beweisen, dass es sich bei der Märchenhexe um Katharina Schrader, die allen nur als „Bakkerhexe“ bekannt war, handelt und wie sie verstorben war. Diesen Erkenntnissen ging die Entdeckung der Fundamente eines entlegenen Fachwerkhauses im hessischen Wald voraus.
„Das Haus bestand nur aus einem Raum und war nicht unterkellert. Nichts, was es von tausend anderen untschieden hätte (Abb.13).
Kein Anhaltspunkt dafür, daß die Fassade einmal mit Lebkuchen und Zuckerzeug verkleidet gewesen wäre, so wie wir es in Erinnerung haben.
Osseg rekapitulierte: „Zwei Erwachsene stoßen, scheinbar zufällig, auf ein einsames Haus im Walde und töten die Bewohnerin. Warum?“
War die erste eine Flächengrabung gewesen, so entschloß Ossegg sich diesmal, an verschiedenen Punkten Schächte in die Tiefe zu treiben. Wieder arbeitete er ganz allein.
Er begann auf dem grasbewachsenen länglichen Hügel, unter dem er die Backöfen vermutete. Diese Stelle hatte er bisher ausgespart.
Am 15. Juli siteß er hier, genau inmitten des Rundes, in etwas zwei Meter Tiefe auf ein weibliches Skelett (Abb. 15 und 16).
Nach wenigen Metern stieß sein Spaten auf eine kleine eiserne Truhe, die mehrere schwärzliche Bruchstücke eines Lebkuchens barg, daneben Backgeräte verschiedenster Art, sowie ein handgeschriebenes Rezept (Abb. 17, 18 und 19).
„Die ganze Wahrheit über Hänsel und Gretel“ ist populärwissenschaftliche Abhandlung und zugleich Klassiker in einer wissenschaftlichen Disziplin, die mit dem Begriff der Märchenarchäologie am besten beschrieben werden kann. Das präsentierte Foto- und Karten-Material, Quellenverzeichnisse und Literaturhinweise veranschaulichen Osseggs Beweisführung, dass die Geschichte von Hänsel und Gretel auf wahre Tatsachen beruht.
Im Anhang der Abhandlung sind die Reaktionen von Zeitungen, Organisationen und Privatpersonen auf diese Erkenntnis gelistet. Hier ist sehr oft die Rede von Betrug, Fälschung und Niedertracht. Dies ist wohl so zu erklären, dass wir – die mit Grimms Märchen erwachsen geworden sind – die wahren Tatsachen einfach nicht verkraften können. „Mein Lebkuchentraum ist zerronnen“, schreibt ein besonders trauriger Märchenliebhaber.