Als der Ninra Darachel und seine Gefährten an den Grenzen des Irrlichtlandes einen halb toten Menschenmann finden, ist es zunächst Mitgefühl, das sie beschließen lässt, den Mann zu ihrer Festung „Himmelsriff“ mitzunehmen. Dort versuchen, sie den Mann zu heilen.Doch dieser kann sich nur so weit erholen, dass er im Bett liegend nur mit Mühe sprechen kann. Darachel spürt, dass der gefundene Mann, ein schwer verletzter Soldat mit einer Uniform der Menschen, eine spezielle Bedeutung für das Fortbestehen seines Volkes hat. Und so beginnt der Mensch dem Elfen Darachel seine Lebensgeschichte zu erzählen. Die Geschichte über Auric Torarea Morante, auch „Auric, der Schwarze“ genannt.
Auric wird als Valgare, einem barbarischen Stamm im hohen Norden, geboren. Als Kind findet sich Auric nur schwer zurecht in der gewalttätigen Welt seines Vaters. Viel lieber verbringt er seine Zeit bei seiner Mutter, an ihren warmen Körper gekuschelt und ihren Worten lauschend, die sie aus alten Büchern vorträgt. Aurics Hunger nach Wissen erweckt in ihm den Wunsch zu studieren. Doch um dieses Ziel zu erreichen, bleibt ihm nichts anderes übrig, als zu kämpfen. Zuerst gegen seinen Vater, später – als bezahlter Soldat – gegen die mystischen und tot geglaubten Feinde seiner Herren, denen er sich verpflichtet hat. Viele Jahre später – nach vielen Schlachten, Verletzungen und Entbehrungen – kann er sich seinen Traum erfüllen. Er beginnt mit seinen Studien, erkennt jedoch bald die realitätsfremde Betrachtungsweise seiner Kommilitonen, mit denen er nichts anzufangen weiß. Er kehrt der Wissenschaft den Rücken und wird wieder Soldat.
Während der Mensch Auric dem Ninra Darachel seine Geschichte, und damit auch mehr über seine Welt erzählt, entsteht eine Freundschaft zwischen den beiden. Die beiden verbinden Intelligenz und eine natürliche Neugier, mehr über die Welt des anderen zu erfahren. Beide sind sie Außenseiter. Auric, der mit Köpfchen Wege aus aussichtslosen Situationen findet, unterscheidet sich schon allein dadurch von seinen Mitstreitern. Darachel ist ein zu kritischer Geist in der Gemeinschaft der vergeistigen Elfen und macht sich dadurch keine Freunde. Aber er erkennt, dass der kampferprobte Soldat, den kein auch noch so blutiges Gemetzel aus der Ruhe bringen kann, für das Schicksal seines Volkes von Bedeutung ist.
„Die standhafte Feste“ ist der Erste von drei Teilen und konzentriert sich hauptsächlich auf die beiden Charaktere Auric und Darachel. In fünf Kapiteln, die die wichtigsten Entwicklungsstufen des Valgaren zugeteilt sind, erzählt Auric seine Geschichte. Der Autor verwendet dabei überraschenderweise die dritte und nicht die erste Person. Und weil mir keine Erklärung dafür einfiel, warum der Autor diesen erzählerischen Kniff gewählt hatte, habe ich nachgefragt und folgende Antwort erhalten:
Ich wollte, dass beim Leser nicht der geringste Zweifel bleibt, dass das, was er liest, auch das ist, was geschehen ist, er andererseits aber nicht erfährt, was davon Auric Darachel auch tatsächlich erzählt und wie er das tut. Ich stehe der Ich-Perspektive kritisch gegenüber. Manchmal ist sie genau das Richtige, ein bekanntes Beispiel: Der Fänger im Roggen. Oder Moby Dick. Niemand weiß bei diesem Roman, ob das alles so geschehen ist oder ob das mythisch Überhöhte nur der Vorstellungskraft des Erzählers Ismael entstammt, dessen Verstand vielleicht auch bei der ganzen Geschichte gelitten hat. Genau diesen Effekt wollte ich für Ninragon NICHT!!! […] Die Erzählung in der 1. Person verursacht immer eine unzuverlässigen Erzähler. Der Leser weiß nicht, ob das, was der Erzähler sagt, der Wahrheit entspricht.
Diese bewusst eingesetzte Distanz und die damit einhergehende uneingeschränkte Freiheit beim Erzählen kommt dem Lesevergnügen zugute. Die Handlung wird von mehreren Seiten beleuchtet und das Hauptaugenmerk kann dabei manchmal auf Nebencharaktere gelenkt werden, was die Geschichte auflockert und sie plastischer macht. Je nach Schauplatz wechselt Odenthal auch den Erzählstil: Erfährt man mehr über die Ninraé und dem „Himmelsriff“, kann es schon mal passieren, dass man in den sorgfältig konstruierten Sätzen das eine oder andere Wort nachschlagen muss. Wird hingegen eine Situation in einer Kneipe oder auf dem Schlachtfeld geschildert, fallen Worte wie „verfickte Motherfucker“ in den knapp ausfallenden Sätzen. An einer anderen Stelle erinnert die Schreibweise an eine Kriegsberichterstattung:
Sanfrieg wurde von einem Schwerthieb das Gesicht quer durch den Nasenknorpel gespalten und erhielt daraufhin den tödlichen Treffer in den Hals.
Diese und sechunsdreißig andere.
43 Jungen, alle zwischen 14 und 17 Jahren alt. Insgesamt starben 43 Jungen aus dem Trupp, der verfrüht die Front vraigassischer Vorverbände angriff.
Aurics Taktik hatte Erfolg.
Die Vraigassen glaubten an einen unkontrollierten, verfrühten Angriff eines Jungtrupps, frohlockten, weil sie glaubten, dass ihr Feind sich dadurch vorzeitig verraten hätte, und schlossen auf die skrimarische Schlachtaufstellung: Jungtrupps im Norden, unwegsames Gelände im Westen. Dies war also die rechte Flanke des Feindes, die Stroßrichtung des Hauptheers kam aus dem Osten, mit einer weiteren Flanke aus Jungtrupps im Südosten.
Die Welt, die Horus W. Odenthal entworfen hat, ist vielschichtig und detailliert beschrieben. Spätestens bei der Betrachtung der Landkarte, die Odenthal zum Herunderladen zur Verfügung stellt, begreift der Leser, dass der Autor keine kleinen Brötchen bäckt.
„Ninragon“ ist Fantasy und nichts für Leser, die damit Romantik und Feenzauber verbinden. Hier geht es um’s Überleben. Um Krieg und Schlachten. Und um Freundschaft, die im Wandel der Welten auf die Probe gestellt wird. Wer Adult Fantasy mit epischen Ausmaß mag und Fan von George R. R. Martin, Joe Abercrombie oder Steven Erikson ist, wird mit „Ninragon“ seine Freude haben.
Egal, wie die Zeit aussieht, in der wir leben, egal mit welchen Waffen wir kämpfen und wie die Städte aussehen, in denen wir leben, immer denken wir von unserer Zeit als der Moderne. Und immer vergessen wir allzu leicht, dass diese sogenannte Neuzeit wenig mehr ist, als die uns sichtbare Oberfläche eines gewaltigen Ozean, der uns trägt, und in dem, uns unsichtbar, die Schatten und Mahre der Vergangenheit hausen. (Horus W. Odenthal)
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Horus W. Odenthal ist Schriftsteller, Illustrator, Comic-Autor und -Zeichner. Nachdem er zunächst durch seine Comics bekannt wurde, die in Deutschland und Amerika erschienen, hat er sich nun der reinen (bilderlosen) Literatur zugewandt und ist Verfasser phantastischer Romane.