Schlesien, Anfang 18. Jahrhundert: Ein namenloser Dieb und Landstreicher schlägt sich in einem vom Krieg zerrütteten Land an der Grenze zu Polen durch – zusammen mit dem mittellosen Adeligen Christian von Tornefeld. Zwei Männer auf der Flucht, kurz vor dem Verhungern, finden Schutz in einer alten Mühle. „Der schwedische Reiter“ ist eine Geschichte über Betrug, Liebe, Verrat und Mut – dramatisch, fantastisch und schlussendlich unendlich traurig.
Dem Roman ist ein Prolog vorangestellt: Auf den ersten Seiten wird über eine Frau namens Maria Christine von Blohme erzählt, die einen Vater hatte, der als „Der schwedische Reiter“ bekannt war. Er fiel, als sie noch ein Kind war, als hochdekorierter Soldat im Heer des Schwedenkönigs Karl 1709 in der Schlacht bei Poltawa. Tatsächlich aber hatte er sie in den letzten Monaten seines Lebens heimlich nachts besucht. Wie das möglich war, dass ein Mann ein zwei weit entfernten Orten gleichzeitig sein konnte, blieb der kleinen Maria Christine unerklärlich.
Eines Tages holt die Mutter das Kind zu sich und berichtet ihr vom Tod des Vaters. Maria Christine kann diese Nachricht zuerst nicht glauben, hatte der schwedische Reiter vor einigen Nächten erst an ihr Fenster geklopft. Erst als vor dem Haus ein Karren, beladen mit einem Sarg, vorbei zieht, weiß sie, dass ihr Vater tot ist. Und hier beginnt die „Geschichte zweier Männer. Sie trafen aneinander an einem bitterkalten Wintertag zu Beginn des Jahres 1701 in eines Bauern Scheune und schlossen Freundschaft miteinander.“
Über das Schicksal zweier Männer
Die zwei Männer könnten nicht unterschiedlicher sein: Der eine tapfer und klug, der andere wehleidig und idealistisch. Der eine kämpft sich als Dieb durch’s Leben, der andere ist Christian von Tornefeld, ein junger Adliger und Deserteur, der dem schwedischen König dienen möchte. In einer alten Mühle finden sie Unterschlupf und seltsamerweise auch einen gedeckten Tisch. Als später der untote Müller für Speis und Trank Geld verlangt, und weder Dieb noch Edelmann zahlen können, stolpern sie immer mehr in die Fänge des Müllers, der eigentlich Arbeitssklaven für die bischöfliche Erzhütte rekrutiert. Um an Geld zu gelangen macht sich der Dieb auf den Weg zu einem nahegelegenen Landgut, das Verwandten des Adeligen gehört. Dort, inmitten der Häscher, die nach seinem Leben trachten, trifft der Namenlose eine folgenschwere Entscheidung – nämlich alles zu tun, um dieses Gut zu besitzen und das dort lebende Mädchen zu ehelichen.
Und in seinem vom Fieber erregten Hirn entstand ein ungeheuerlicher Gedanke: Als wäre er kein Landstreicher und Dieb, sondern ein Edelmann, und daß er wiederkommen müßte und Ordnung machen unter den Knechten, Ordnung auf seinem Hof, denn all das, das Mädchen, das Haus, der Hof, die Felder, das mußte sein eigen werden. „Bin lang genug am Tisch der armen Rotte gesessen“, keuchte er. „Jetzt will ich sitzen am Herrentisch.“ – Und dieser Gedanke, in brennenden Schmerzen geboren, wurde übermächtig in ihm, und jeder Hieb, der auf ihn niedersauste, brannte ihn tiefer in seine Seele.
Der Haselstock flog in den Schnee, der Dieb merkte nicht, daß die Exekution vorüber war. Einer von den Dragonern reichte ihm das Hemd und den Rock und gab ihm aus seiner Flasche einen Schluck Brandwein zu trinken.
„Jetzt mach dich davon“, riet er ihm, „daß dich unser Hauptmann nicht nochmals sieht.“
Sie faßten ihn unter den Armen und wollten ihn zum Tor hinausführen, sie meinten, er stünde schwach auf seinen Beinen. Aber er machte sich los von ihnen und ging, schwankenden Schritts, aber dennoch aufrecht durch den Schnee.
In der Einfahrt wendete er sich um. Er sah das Mädchen und das Haus und den Hof und die umgestürzte Egge, die aus dem Schnee ragte, und er umfaßte das alles mit einem Blick, als wäre es schon sein eigen. Dann ging er. Der Wind fuhr ihm ins Gesicht, der Schnee knirschte unter seinen Füßen. Und die Ahornbäume, die am Straßenrand standen, beugten ihre windgepeitschten Äste zur Erde, als wüßten sie die kommenden Dinge, als grüßten sie in diesem Mann, der den Hof verließ, den künftigen Herrn.
Ohne Geld kehrt der Dieb zur Mühle zurück. Um sein Ziel zu erreichen geht er mit dem Müller einen Handel ein und verrät darauf seinen Weggefährten, der nun an seiner Stelle als Sklave in einem Bergwerk sein Dasein fristen muss. Und der Dieb wird – bevor er als schwedischer Reiter bekannt wird – zunächst mal Hauptmann einer Räuberbande.
Die Welt des schwedischen Reiters mag vorerst so gar nicht in unsere Zeit passen. Die Sprache – durchzogen von alten Wörtern und französischen Redewendungen – ist befremdend, das Leben des frühen 18. Jahrhunderts rau, kalt und von Not, Flucht und Hunger geprägt. Ein Mann verrät seinen Gefährten, nimmt später sogar seine Identität an und zahlt schlussendlich auch die Zeche.
Der in dieser Geschichte skizzierte Realismus ist mit fantastischen Handlungselementen verwoben: der gespenstische Müller, der eigentlich ziemlich tot sein müsste und den Handlanger für den ausbeutenden Bischof spielt; oder: die Szene, als sich der Dieb dem jüngsten Gericht im Himmel gegenüber sieht und das Urteil über sein Vergehen, dem Verrat an seinem Freund, annehmen muss.
Und dann ist da noch die romantische Liebesgeschichte zwischen dem schwedischen Reiter und der Adeligen Agneta von Krechwitz, die zusammen eine abgöttisch geliebte Tochter haben. Und inmitten dieser vielen Schichten, aus denen der Roman gebaut ist, sympathisiert der Leser für den Verräter, nimmt Anteil an seinem Schicksal und zweifelt mit keiner Zeile an seiner aufrichtigen Moral.
„Der schwedische Reiter“ wurde 1936 veröffentlicht. Während des 2. Weltkriegs waren die Bücher von Leo Perutz verboten. 1938 wanderte der Autor nach Palästina aus, kam jedoch nach dem Krieg nach Österreich zurück, wo er 1957 in Bad Ischl starb.