Xaver Ypp ist ein schon etwas älterer Herr, arbeitet als Gourmet-Kritiker bei der kulinarischen Zeitschrift „Lukullus“ und gilt als alter Hase in der Branche. Zu seinem Leidwesen ist sein chinesischer Lieblingskoch Wang Li-Shui verschwunden. Es heißt, er wäre ausgewandert. Zudem bekommt Ypp vom Herausgeber des Magazins auch noch den Lehrling Quentin auf’s Aug gedrückt. Quentin ist ein junger Student, der die Gabe hat, sich jeden Geschmack zu merken. Ypp tingelt nun mit Quentin zwecks multinationaler Lehr-Verkostungen durch die Wiener Restaurants. Unter anderem besuchen sie auch das „Shanghai 1938“, Ypps Lieblingsrestaurant, wo bis vor kurzem noch Wang Li-Shui aufgekocht hat.
Alles läuft wunderbar: Quentin hat seine attraktive Freundin Zoe mitgebracht, die Tischgespräche sind anregend, das Service perfekt. Als jedoch Xaver Ypp beim Essen der „Ente mit acht Kostbarkeiten“ einen kleinen, undefinierten Brocken schmeckt, wird er stutzig. Was war das, was er soeben gegessen hat? Ypp nimmt eine Probe und verstaut sie für eine spätere Untersuchung in einem Sackerl. Der Verdacht, dass sich etwas unerlaubterweise im Essen befunden hat, erhärtet sich, als die Probe auf dem Heimweg gestohlen wird.
„Der zweitbeste Koch“ ist ein kulinarischer Krimi für Feinschmecker, der – obwohl kein Blut spritzt – nicht unbedingt Appetit auf Essen macht. Xaver Ypp ist ein Gourmet mit Leib und Seele. Es gibt (fast) nichts, was der Kritiker noch nie geschmeckt hat und besonders in der asiatischen Küche kann ihm keiner etwas vormachen. Er ist aber ebenso ein leidenschaftlicher Erzähler von kulinarischen Geschichten und Anekdoten. Wie es ältere Menschen mit einer gewissen Erfahrung gerne machen, plaudert Ypp gerne aus dem Nähkästchen.
„Ich weiß gerne, was ich esse“, antwortete ich. „Und es kommt nicht mehr so oft vor, dass mir etwas völlig Unbekanntes begegnet. Und das hier kenne ich wirklich nicht.“
„Wahrscheinlich ist das Fleisch von diesem – wie hieß er gleich? – der Verschwundene?“
„Wang Li-Shui“, sagte ich. „Das finde ich nicht sehr komisch.“
Sie zuckte die Achseln. „Ich habe es auch gar nicht komisch gemeint. Vor ein paar Jahren hat ein Chinese in Paris seine Freundin gefressen und dann in China eine Talkshow im Fernsehen bekommen.“
„Das war ein Japaner“, korrigiert ich sie. „Es war ein japanischer Literaturstudent, und er hat nur Teile von seiner holländischen Kommilitonin verspeist. Sein eigentlicher kulinarischer Traum war der Verzehr der runden weißen Schultern von Grace Kelly. Er ist für unzurechnungsfähig erklärt, in eine Klapsmühle gesteckt und nach kurzer Zeit abgeschoben worden, und er wurde bei seiner Rückkehr nach Japan tatsächlich eine Zeitlang als Star gefeiert. Die Rolling Stones haben sogar eine Nummer über ihn geschrieben, Too Much Blood auf dem Album Under Cover.“
„Geil“, sagte Quentin. „Ich meine, dass er eine eigene TV-Show gekriegt hat. Wer ist Grace Kelly?“
Wäre man bösartig, könnte man in Ypp, der es liebt, zu jedem Stichwort seinen Kommentar abzugeben, einen Besserwisser und Prahlhansl erkennen. Seine Geschichten sind jedoch die äußerst köstlich unterhaltsame Hauptspeise dieses Buches. Sehr informativ, spannend und auch ein bisschen schauerlich sind seine Ausführungen zu den verschiedenen Arten der Zubereitung von grünem Tee, Kugelfisch, Bruckfleisch oder „Dojo-Tofu“.
Ohne erkennbare Überleitung war Chang auf Dojo-Tofu zu sprechen gekommen, ein Tofu-Gericht, von dem ich schon gehört, das ich aber noch nie gegessen hatte. Es wird zubereitet, indem man kleine Fischchen aus der Schmerlenfamilie in Brühe erwärmt, bis die Tiere sehr unruhig werden. Wenn man nun einen Block gekühlten Tofu in die Kasserolle gibt, wühlen sich die Fische in ihrer Panik sofort hinein. Bei zunehmender Hitze sterben sie schließlich in ihrer Zuflucht und man hat ein raffiniertes Gericht, einen mit kleinen Fischen gespickten Tofu in der heißen Suppe. Chang erzählte, dass einer seiner ehemaligen Köche dieses eigentlich japanische Gericht besser zubereitet habe als jeder andere vor ihm oder nach ihm.
Zwischendurch ist Ypp dem geheimnisvollen Verschwinden des zweitbesten Kochs auf der Spur und gerät dabei zwischen die Fronten einer Tierschutzorganisation, Leuten mit viel Geld und Einfluss sowie dem österreichischen Geheimdienst. Obwohl der Krimi in diesem Buch mehr Beilage als Hauptgericht ist, macht das dem Lesevergnügen keinen Abbruch. Im Gegenteil: „Der zweitbeste Koch“ ist witzig, lebendig, fesselnd und eine Bereicherung für den Wiener Kriminalroman.
Wer Appetit auf den Vorarlberger Schriftsteller Kurt Bracharz bekommen hat, kann das Buch bei Haymond Verlag bestellen oder sich einen Vorgeschmack auf sein jüngst veröffentlichtes „Mein Appetit-Lexikon“ holen.