„Der Papa soll auf Gangsterjagd“: Diesen Satz aus dem Mund des kleinen Sohnemanns von Kriminalinspektors a.D. Leopold Wallisch kann ich nur unterstreichen. Lange haben Fans des Wiener Kriminalromans auf eine Fortsetzung der Lemming-Reihe von Stefan Slupetzky warten müssen. Der letzte Krimi „Lemmings Zorn“ wurde 2009 veröffentlicht, und jetzt – nach acht Jahren – darf der kauzige Wiener wieder in einem Fall, es ist der fünfte, ermitteln. Mit von der Partie ist auch wieder Chefinspektor Polivka.
Er ist Ex-Polizist, Ex-Schnüffler und mittlerweile nicht mehr der Jüngste: Leopold Wallisch, alias „Der Lemming“. Das Privatleben zwischen dem Tiergarten Schönbrunn, wo er als Nachtwächter arbeitet, und der Tierarztpraxis seiner Klara, fließt geruhsam dahin. Bis Theo Ptak, sein Schwiegerneffe, in der Küche steht. Theo ist Straßenbahnschaffner und seit Kurzem über beide Ohren in eine junge Frau verliebt, die auf seiner Route täglich zu steigt.
Doch nun ist diese junge Frau, er nennt sie die scheinbar Unscheinbare, am helllichten Tag vor dem Wartehäuschen der Tram und vor Theos Augen entführt worden. Er wendet sich an den Lemming, da die hiesige Polizei aus lethargischen Beamtentrottel besteht und ein Schönbrunner Nachtwärter der bessere Bulle ist. Und weil der kleine Ben auch dafür ist, dass der Papa auf Gangsterjagd gehen soll, untersuchen der Lemming – wenn auch widerwillig – und sein Neffe zunächst den Tatort. Prompt finden sie ein Beweisstück, das der Polizei entgangen ist. Es ist ein vergilbter Zeitungsausschnitt mit einem alten Text über Vögel.
Zwei schräge Vögel
Neben dem ornithologischen Abschnitt finden Theo und der Lemming außerdem noch einen toten Journalisten in einer Badewanne. Da Theo kurz darauf von einem Unbekannten niedergeschlagen und in das Krankenhaus eingeliefert wird, zieht Wallisch einen alten Kollegen zu Rate: der mittlerweile zum Chefinspektor aufgestiegene Polivka. Nach einem anfänglichen verbalen Schlagabtausch ermitteln sie zusammen in dem Entführungsfall. Und die beiden, auch wenn sie in der Vergangenheit mehr eine offene Feindschaft als eine offene Freundschaft pflegten, sind erstaunlicherweise ein gutes Gespann.
„Polivka“, knurrt Polivka noch einmal in den Hörer. „Wenn Sie mit jemandem schweigen wollen, dann suchen Sie sich einen Ehepartner.“
„Ich bin’s“, sagt der Lemming. „Grüß Sie, Herr Inspektor.“
„Ich. Na, bravo. Ich kann jeder sagen, sogar ich.“
„Ich meine, ich, der Wallisch.“
Polivka hält inne, und der Lemming weiß, er überlegt sich eine möglichst boshafte Begrüßung. Mehr als ein „Ich hab ja gleich gewusst, dass heute wieder so ein Tag ist“ fällt ihm aber, wie es scheint, nicht ein.
„Ich fühle mit Ihnen, Herr Chefinspektor“, feixt der Lemming, „und es tut mir furchtbar leid, Sie während Ihrer Dienststunden mit Arbeit molestieren zu müssen.“
„Arbeit? Hat man Ihnen wieder einen Pinguin erdrossel?“
„Nicht direkt, aber mit Vögeln hat die Sache vielleicht trotzdem was zu tun.“
Die Rückkehr der Dodos
Unabhängig von den Ermittlungen beglückt uns Slupetzky mit einer weiteren Geschichte, die parallel zum Krimi verläuft. In den Hauptrollen lernen wir Max Horvat und seine Begleitung, Kasper und Pannonia, kennen. Ersterer ist ein junger Mann aus der Steiermark, letztere zwei Dodos (ja, die gab es wirklich). Zu dritt reisen sie im Auftrag des Kaisers im Jahr 1658 per Schiff und Kutsche von Mauritius zurück nach Wien. Dieser historische Ausflug ist eigentlich als Nebenhandlung gedacht, läuft dem Krimi aber bald den Rang ab. Die Reise des jungen Mannes ist außerordentlich fesselnd und einnehmend. Das Rätsel, was dieser Erzählstrang mit dem Krimi zu tun hat, löst sich erst gegen Ende.
Tatorte sind die Grüfte der Erinnerungen, Detektive aber sind die Frankensteins, die das Gedächtnis aus seinen begrabenen Fragmenten wiederherzustellen versuchen.
Mit „Die Rückkehr des Lemming“ überzeugt Slupetzky wie gewohnt mit sprachlicher Fabulierkunst, die sich durch humorige Dialoge mit Lokalorit und Aphorismen zu Beginn der Kapitel präsentiert. Mit Der Deutsche Schäfer ist der Volkswagen unter den Säugetieren, nicht nur im Hinblick auf seine Beliebtheit und Verbreitung, sondern auch auf seine Abgaswerte oder Die Mansarde ist der Parvenü unter den Dächern Wiens, sorgt Slupetzky für Amüsement. Und dann noch die eingeflochtenen Schüttelreime: Obwohl mich diese wirklich erheitert haben und auch eine gewisse Rolle bei den Ermittlungen spielen, erschienen sie mir beim Lesen doch etwas erzwungen eingesetzt.
In Summe ist dieser Wiener Krimi eine gute Unterhaltung und ich bin froh einem meiner Lieblingsschnüffler wieder begegnet zu sein. Gleichzeitig hat mich Slupetzkys Umgang mit historischem Stoff restlos überzeugt (davon bitte mehr!). Allein mit dem Ende war ich nicht einverstanden. Hier ging es mir für einen Krimi doch etwas zu fantastisch zu. Das Buch ist im Rowohlt Verlag im September 2017 erschienen.