Alfred Komarek: Zwölf mal Polt
Wer kennt Simon Polt? Den Gendarmeriebeamten aus dem Weinviertel? Alfred Komarek hat diesem unkapriziösen Charakter bereits fünf Romane gewidmet, „Zwölf mal Polt“ ist der sechste und hoffentlich nicht der letzte. Aber da dieses Buch nicht aus einer Geschichte sondern aus zwölf Episoden besteht und Komarek dabei den erzählerischen Bogen über 20 Lebensjahre von Simon Polt spannt, erscheint es, als hätte der Autor ein abschließendes Resümee über Polt und das niederösterreichische Wiesbachtal verfasst. Zwischen Weinbergen und Kellergassen unterwegs – entweder zu Fuß oder auf seinem klapprigen Fahrrad – löst der Kriminalist knifflige Fälle auf seine eigene Art. Wobei es sich nicht immer um einen „Fall“ im tradtitionellen Sinn handelt. Am Anfang seiner Karriere als Gendarmerieinspektor gerät Simon Polt an einen Kollegen, der es mit den Dienstvorschriften nicht allzu genau nimmt und deshalb in eine zwischenmenschliche Zwickmühle gerät. Dann hat er es mit deutschen Journalisten und einem in einem offenen Grab liegenden Toten zu tun. Und mit einem seltsamen Dieb, der sich auf Wurst-Stangen spezialisiert hat. Als eine japanische Delegation die heimischen Presshäuser besucht, verschwindet plötzlich ein Japaner und wird später tot in einem Maischebehälter gefunden. Und während sich Polt mit Kellerleichen, Grenzfällen und unneidigen Nachbarn auseinandersetzt, verliebt er sich in die Lehrerin Karin, heiratet sie und wird Vater. Und im Lauf der Geschichte gibt er seinen Beruf als Polizist auf, wird Inhaber einer Greißlerei und kauft sich sein eigenes Presshaus.
„Mord und Totschlag“, sagte Polt unbeeindruckt.
„In einer Stunde gibt’s frische Blutwurst.“ Der Sepp arbeitete unbeirrt weiter. Ein warmer Dunst von Fleisch und Blut lag in der Luft. „Kruzitürken! Das Zeug hat keine Schneid mehr, ich sollt eine Säge nehmen!“ Wütend hieb er noch einmal zu und nickte dann befriedigt. „Na also. Warum nicht gleich. Bleibst zum Essen, Simon?“
„Ich weiß nicht recht …, kein richtiger Hunger.“ Polt schaute sich verlegen um.
„Na, dann ein andermal.“ Räuschl hob grüßend die blutige Rechte.
„Ja, ja. Und vielen Dank für die Einladung, Sepp!“
Polt wandte sich zum Gehen. Zwar konnte ihn die Aussicht auf ein Schlachtessen angesichts der zerteilten Tierleiche nicht verlocken, andererseits hatte er ja doch Hunger. Er beeilte sich also, noch vor der Mittagssperre in die Gemischtwarenhandlung zu kommen. Als er eintrat, blickte Frau Habesam auf. „Den Sepp besucht, wie? Ist beim Sautöten. Mich wundert’s, dass der junge Mühlbauer mittut. Der ist zwar bei jedem Unsinn dabei, aber die Arbeit schmeckt ihm weniger.“
„Macht eine Spenglerlehre, immerhin.“
„Der Lehrmeister kann einem leidtun. Darf’s eine Wurstsemmel sein?“
„Nein, nichts Fleischiges. Eine Tafel Nussschokolade hätte ich gern.“
„Ein Süßer, der Herr Gendarm! Oder ist es ein Geschenk?“ Frau Habesam griff zu einem im Sonnenlicht ausgebleichten, leicht gekrümmten Packung.
„Nichts für ungut, Frau Habesam, aber geht’s auch frischer?“
„Heikel auch noch. Als doch ein Geschenk! Unsere Lehrerin, die Karin Walter, nicht wahr? Wird’s endlich was mit euch?“
„Nein.“
„Ist schon gut. Hier bitte! Soll ich’s schön einpacken? Ich hätt ein rotes Papier mit Herzerln drauf.“
„Nur keine Umstände.“
„Wenn’s um die Liebe geht, ist mir keine Arbeit zu viel. Aber etwas anderes! Ich wollt sowieso auf die Wachstube kommen, nach dem Geschäft.“
„Was ist denn passiert, Frau Habesam?“
„Bestohlen bin ich worden. Eine Stange Wurst fehlt, eine teure.“
„Irrtum ausgeschlossen?“
„Bei mir immer. Außerdem ist das nicht der einzige Diebstahl in Burgheim. Dem Kirchenwirt, dem Freisinger, fehlt eine Kiste Bier, der alte Kofferradio vom Fürnkranz ist weg und ein Blumentopf vom Kriegerdenkmal. Ein Frevel, sag ich Ihnen, tote Helden zu bestehlen!“
„Und warum wissen wir nichts davon?“
„Wert hat schon gern mit der Gendarmerie zu tun? Und jetzt wissen Sie’s ja.“
„Danke. Irgendwelche Vermutungen?“
„Die Augen müssen S‘ schon selbst aufmachen, Herr Polt.“
„Der Gendarm zahlte und ging. Zu Hause angekommen, holte er sein Fahrrad hervor. Dieser freundliche Frühsommertag war gerade richtig für einen kleinen Ausflug. Gemächlich folgte Polt einem Güterweg, der über flaches Land zum südlichen Talrand führte und dann durch den Wald zu einer kleinen Kapelle hinauf, die von Rebenhängen umgeben war. Oben angekommen, stieg Polt, ein wenig außer Atem, vom Fahrrad und schaute über die Dörfer des Wiesbachtales hinweg zu den Kellergassen im Norden. Lange Ketten spielzeugkleiner Häuser zogen sich den Hang hinauf. Polt hatte plötzlich Lust auf Wein. Vielleicht war ja Sepp Räuschl nach seiner Bluttat in der Kellergasse anzutreffen. Tatsächlich sah er ihn im Presshaus mit Karl Mühlbauer zusammensitzen, dem Vater seinen jungen Helfers.
„Du fehlst uns gerade noch“, sagte der Sepp statt einer Begrüßung, und der Mühlbauer nickte.
Nervenzerreißende Spannung und Schocker gibt’s bei Komarek nicht. Stattdessen wird der Leser auf einfühlsame und humorvolle Weise unterhalten. Der Wechsel zwischen Milieustudie und weinbeseelter Landschaft erzeugt einen unaufdringlichen Sog, dem man sich nur schwer entziehen kann.