Der junge und ehrgeizige Journalist Sebastian Zöllner möchte ein geschätzter und hochgeachteter Kunstkritiker sein. Eine Künstlerbiografie über den surrealen Maler Manuel Kaminiski soll ihm beim Durchbruch zu Ruhm und Geld helfen. Dass Kaminiski bereits durch Alter und Krankheit senil und ziemlich tatterig geworden ist, stört den Journalisten wenig: Unter dem Motto „Nur ein toter Künstler ist ein guter Künstler“, hofft er auf baldiges Ableben Kaminiskis, um die erträumten Verkaufszahlen noch weiter in die Höhe zu treiben. So macht sich Zöllner auf den Weg in die Eremitage des Malers. Zöllner ist der Ich-Erzähler des Romans und er ist keiner dieser Ich-Erzähler, mit dem der Leser mitleidet oder sich sogar identifiziert. Zöllner ist penetrant und überheblich, ein dummer Zyniker und seine journalistischen Praktiken sind unter jeder Kritik. Für das Interview mit Kaminski besticht Zöllner die Köchin, durchwühlt das Büro und Atelier nach verwertbarem Material und belügt den Maler nach Strich und Faden. Kurz: Zöllner ist ein Paradebeispiel eines Ekelpakets und des Lesers Mitgefühl konzentriert sich mehr auf den wehrlosen, blinden und verwirrten Alten.
Endlich ist es soweit: Zöllner ist mit Kaminiski allein, das Diktafon ist eingeschaltet, Zöllner will endlich einen bedeutungsvollen Aspekt in der Vergangenheit des Malers ans Licht bringen: Die unglückliche Liebe seines Lebens – Therese -, ohne die der Maler nie berühmt geworden wäre. Doch statt einer Antwort will der Maler plötzlich zu seiner großen Liebe fahren, sie noch einmal sehen und mit ihr sprechen.
„Ich rieb mir die Stirn. Was war geschehen, hatte ich nicht gerade noch alles unter Kontrolle gehabt? Irgendwie war mit die Sache entglitten. Und er hatte recht: Wir würden zwei Tage unterwegs sein, auf soviel Zeit mit ihm hätte ich nie hoffen könne. Ich konnte ihn fragen, was ich wollte. Mein Buch würde ein bleibendes Quellenwerk sein, gelesen von Studenten, von den Kunstgeschichten zitiert.
„Es ist seltsam“, sagte er, „Sie in meinem Leben zu wissen. Seltsam und nicht angenehm.“
„Sie sind berühmt. Das wollten Sie doch. Berühmt sein heißt jemanden wie mich haben.“ Ich wußte nicht, warum ich das gesagt hatte.
„Im Schrank ist ein Koffer. Packen Sie ein paar Sachen von mir ein.“
Ich atmete schwer. Das war doch nicht möglich! Ich hatte gehofft, ihn zu überraschen und zu verwirren, um ihn dazu zu bringen, von Therese zu sprechen. Doch ich hatte ihn nicht entführen wollen!
„Sie sind seit Jahren nicht gereist.“
„Die Autoschlüssel hängen neben der Haustür. Sie können doch fahren?“
„Ich fahre sehr gut.“ Hatte er wirklich vor, jetzt sofort, einfach zusammen mit mir …? Er mußte verrückt sein. Andererseits: War das mein Problem? Natürlich, die Reise würde seine Gesundheit gefährden. Aber um so früher konnte das Buch erscheinen.“
Aus der spontanen Reise entsteht eine sich vertiefende Beziehung zwischen Kritiker und Künstler, dabei wechseln sich die Gedanken des Protagonisten mit belebenden Dialogen ab. Kehlmann versteht es die kompakte Handlung auf 174 Seiten immer wieder in eine andere Richtung zu lenken und spitzt das Geschehen gekonnt zum Ende zu. Da kommt sogar Mitleid (aber doch in Begleitung eines hämischen HÄ-HÄ) mit dem Anti-Helden auf, der sich auf der letzten Seite als tragische und gescheiterte Figur entpuppt. Kehlmann nimmt Schein und Sein, Eitelkeit und Schleimerei, in der Kunstszene aufs Korn und hat mit „Ich und Kaminski“ eine lesenswerte Realsatire geschaffen.