High Noon in einem verschneiten, tourismusverseuchten Dorf in Tirol: Das Knattern der Motorräder verstummt, das Bellen des Hundes erstirbt, die alte Rofnerin legt das Strickzeug beiseite, die Küchenuhr ist schon vor einer halben Stunde stehen geblieben. Es ist elf. „Jetzt kommen sie und holen Jakob“. Ein kleines Dorf in Tirol. Es ist Wintersaison, die Touristen, die „Fremden“, plaudern im Café Tirol oder lernen das Schifahren von einem Einheimischen. Ein Hotel reiht sich neben dem anderen, der Tourismus bestimmt den Lebensrhythmus der Menschen: Was Segen ist, wird zum Fluch.
In diesem Dorf – als Sohn eines Hotelbesitzers – wächst Jakob heran. Jakob, der von Anfang an anders war, so einer eben. Wurde Jakob zum Außenseiter durch die Mutter, die ihn windelweich schlug und dann erst begriff, dass das Kleinkind Lungenentzündung hat, oder durch die Dorfgemeinschaft, die ihn immer schon verspottet und gehänselt hat? Oder waren es gar die Touristen? Oder trugen die sexuellen Misshandlungen in der städtischen(!) Schule die Schuld daran, dass sich Jakob nicht in die Gemeinschaft integrieren konnte? Warum ist Jakob so anders, so anders als alle anderen…
Jakob wird von der Polizei abgeholt. Und zwischen „fünf nach elf“ und „acht nach eins“, als die Polizei in der Küche des Hotels mit der Mutter, den Geschwistern, den „Freunden“ und einer Nachbarin redet, lässt Gstrein Jakobs bisheriges Leben Revue passieren. Wir erfahren viel über Jakob – der Autor hat ein umfassendes Psychogramm über den Antihelden erstellt. Jakob selbst, kommt aber selbst nicht zu Wort. Das Schifahren erlernt im Tiroler Dorf jedes Kind sobald es gehen kann, das Sprechen und Ausdrücken von Gefühlen wird jedoch nicht weitergegeben, weil es auch die Eltern nie gelernt haben. Diese vererbte Sprachlosigkeit ist wohl Hauptgrund der gescheiterten und schlussendlich verwahrlosten Existenz namens Jakob.
Jakob zweifelte manchmal, ob sie tatsächlich meinten, was sie sagen, oder nur grundsätzlich alles Neue abwiesen, um ja nicht mit einer anderen Welt in Berührung zu kommen, die ihnen vielleicht ihre als einzig mögliche unmöglich macht und sie zurückließe im Niemandsland; und doch widersprach er ihnen nie – sie hätten ihn ohnehin nicht ernst genommen wie jeden, der nicht ihre Meinung teilt – und habe gewöhnlich sogar zugestimmt, am Anfang, weil er es nicht besser wußte, und später, er wußte nicht warum, und nur zuweilen ganz etwas anderes entgegnet oder eine Dummheit, über der sie eine Sekunde innehielten und dann lachten oder sagten, man solle ihn reden lassen oder tun, was immer dem Narren in den Kopf käme, und sich nicht scheren darum.
Ein Schriftsteller schreibt zu Beginn seiner Karriere zumeist über das, was er am besten kennt, über etwas, was ihm vertraut ist – wo er zu Hause ist. Norbert Gstrein ist Tiroler, also schreibt er über Tirol und Tiroler und über das, was in Tirol eine wesentliche Rolle spielt: den Tourismus. Aber anders als Felix Mitterer mit seiner satirischen „Piefke Saga“ nähert sich Gstrein dem Thema von einer viel ernsteren und extrem tiefgehenden Seite mit einer derartigen verdichteten Sprache, die streckenweise höchste Konzentration vom Leser erfordert.